Red Dot Award: Brands & Communication Design
Red Dot-Jurorin Bettina Schulz ist seit 2008 Mitglied der Red Dot-Jury. Die Printdesignexpertin ist Jurymitglied zahlreicher weiterer internationaler Designwettbewerbe und war bis 2019 Chefredakteurin des Fachmagazins „novum - World of Graphic Design“. Inzwischen hat sie ihr eigenes Redaktionsbüro in München gegründet und ist Gründungsmitglied der Creative Paper Conference.
Im Interview erzählt sie, warum sie keine E-Books liest und was Papier mit Zutaten beim Kochen zu tun hat.
Red Dot: Der Online-Journalismus boomt und auch E-Books sind mittlerweile in vielen Haushalten üblich. Wie wichtig ist es dir, wie sich ein Medium anfühlt? Unterscheidest du hier nach der Art des Inhalts?
Bettina Schulz: Ganz ehrlich: Ich habe noch nie in meinem Leben ein E-Book gelesen. Nachrichten, schnelle Informationen, Recherche – für all das ist Online-Content ein Segen. Ein Buch möchte ich aber in seiner Gesamtheit erfassen, vor- und zurückblättern können und es anschließend in mein Regal stellen. Ich kann mich bei fast jedem Buch genau erinnern, wann und in welcher Lebenslage ich es gelesen habe. Daher kann ich mich auch schlecht von Büchern trennen; irgendwie werden sie zu einem Teil von mir selbst und das klappt, so denke ich, eben nur über das Physische. Einmal abgesehen davon, gibt es auch fundierte Studien, die belegen, dass das analoge Lesen im Gegensatz zum digitalen Lesen größere Regionen im Gehirn aktiviert. Für mich sind das analoge und digitale Lesen tatsächlich zwei unterschiedliche Aktivitäten. Ich kann Musik zu Hause hören, ich kann aber auch in ein Livekonzert gehen – ebenso kann ich Informationen schnell online abrufen oder mich in ein Buch vertiefen.
Und was das Arbeiten für Medien angeht: Ich schreibe gerne für Blogs, weil sich schnell noch etwas verändern oder ergänzen lässt. Und aus dem gegenteiligen Grund realisiere ich auch gerne Kundenzeitschriften – hier geht es irgendwann in den Druck. Das hat eine Endgültigkeit und die Inhalte sind zu diesem Zeitpunkt einfach eine unveränderbare Realität. Es gibt nichts Schöneres, als ein gedrucktes Belegexemplar auszupacken. Es ist die Manifestierung der eigenen Arbeit.
Red Dot Jurorin Bettina Schulz
„Papier ist in der Kommunikation wie eine Zutat beim Kochen … man kann sich damit das schönste Gericht ruinieren.“
Gibt es Textsorten, bei denen es dir egal ist, ob sich das Papier gut anfühlt oder nicht?
Das Papier muss sich nicht unbedingt gut anfühlen, das ist ohnehin eine sehr subjektive Wahrnehmung. Es muss aber in jedem Fall mit dem Inhalt korrespondieren. So wäre es wohl für jeden befremdlich, wenn der Discounter-Prospekt mit Sonderangeboten auf einem edlen Feinpapier gedruckt wäre. Die Botschaft würde nicht ankommen, obwohl viel in das Papier investiert worden wäre. Auf rein funktionaler Ebene ärgere ich mich, wenn beispielsweise bei einem Bildband das Papier extrem spiegelt. Ganz offensichtlich wird es bei Belletristik: Ermüden die Augen beim Lesen schnell, kann es natürlich am Satz liegen, aber eben auch an der Papierfärbung. Papier ist in der Kommunikation wie eine Zutat beim Kochen … man kann sich damit das schönste Gericht ruinieren.
Einen noch größeren Einfluss als die Haptik hat unser Geruchssinn auf die emotionale Verarbeitung von Eindrücken. Riecht man ein spezielles Parfüm, hat man vielleicht die Großmutter im Gedächtnis, wie sie in der Kindheit Geschichten vorgelesen hat. Über diese persönliche Ebene hinaus gibt es aber noch keine Verknüpfung von Geruch und Literatur, oder?
Es gibt natürlich schon Duftveredelung mittels Mikrokapseln, die beim Reiben aufplatzen. Aber das funktioniert meiner Meinung nach eher schlecht als recht. Auch weil hier neben dem eingebrachten Duft das Papier und die Druckfarbe einen Eigengeruch mit sich bringen. Dann ist es wohl ähnlich einem Parfum, das sich auf jeder Haut anders entfaltet. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Düfte und ihre Wahrnehmung wesentlich individueller sind. Wir können uns bei dem Fell einer Katze wahrscheinlich alle darauf einigen, dass es weich ist. Ich glaube, bei Düften ist das anders – was für den einen nach Blume duftet, riecht für den anderen nach nassem Gras.
Die Wahl einer Bindung oder einer Papiersorte hat nicht nur Auswirkungen auf die Haptik, sondern auch darauf, wie sich ein Printprodukt bei Berührungen oder beim Umblättern anhört. Wie bewertest du Geräusche, die Printprodukte machen, wenn sie benutzt werden?
Geräusche wären für mich weniger entscheidend, wichtiger ist mir die Funktion einer Bindung. Printobjekte, die sich schlecht aufschlagen lassen, sind so ziemlich das Anstrengendste, was man dem Leser beim Blättern zumuten kann, gerade bei großen Formaten.
„Wer sich einmal auf das Thema Haptik und Papier, auf die vielfältigen Möglichkeiten in Druck und Veredelung eingelassen hat, kommt jedenfalls nicht mehr los davon … “
Nun gibt es über Bücher oder Zeitschriften hinaus noch viele weitere Printprodukte. Im Corporate Branding immer noch sehr beliebt sind beispielsweise Visitenkarten. Lohnt sich für Firmen die Investition in besondere Prägungen oder andere Mittel, die die Sinne anregen können?
Sagen wir so, wer sich bei seinen Visitenkarten keinerlei Gedanken über das Papier oder die Verarbeitung macht, vergibt zumindest eine große Chance, etwas über Anschrift und Telefonnummer hinaus zu vermitteln und im Gedächtnis zu bleiben. Man muss sich nur selbst fragen, welche Visitenkarten man aufbewahrt und warum. Der Kontakt ist ja meist längst gespeichert und trotzdem wirft man hochwertige Visitenkarten nicht einfach weg. Sie erfüllen nicht nur die Funktion der Kontaktaufnahme, sondern auch die des Erinnerns mitsamt dem daran geknüpften Gefühl der Wertschätzung.
Corporate Sounds oder Corporate Colours sind übliche Mittel für den Wiedererkennungswert von Marken. Wird dagegen die Wirkung von Printprodukten unterschätzt, wenn es um Wiedererkennbarkeit geht?
Ich glaube schon, dass Unternehmen die Wirkung von Printobjekten bewusst ist. Daher setzen inzwischen viele auf Corporate Publishing als festen Kommunikationsbestandteil. Es ist eine spannende Entwicklung, weil sie sich damit vom Unternehmer zum Publizisten wandeln, neue Themen hinterfragen, aber auch das eigene Handeln aus einer anderen Perspektive wahrnehmen. Und ihre Kunden „konsumieren“ diese Unternehmensinformationen wiederum auf andere Art und Weise – aufgrund der Darreichungsform nicht unbedingt am Schreibtisch, sondern in der Badewanne oder auf der Couch. Print kann auf so unglaublich vielseitige Weise ansprechen, berühren, mobilisieren. Einen wichtigen Anteil daran hat das passende Papier, das Werte vermitteln, Charaktereigenschaften widerspiegeln und subtile Botschaften überbringen kann. Wer sich einmal auf das Thema Haptik und Papier, auf die vielfältigen Möglichkeiten in Druck und Veredelung eingelassen hat, kommt jedenfalls nicht mehr los davon …