BOK+
Das Liesborner Evangeliar hat im Lauf seiner Geschichte unterschiedliche kirchliche und weltliche Bewertungen erfahren. Dieses nationale Kulturgut in einer Ausstellung mit allen Sinnen erfahrbar zu machen und dabei die Gratwanderung zwischen sakraler Strahlkraft und wissenschaftlicher Einordnung zu meistern oblag der interdisziplinär aufgestellten Agentur BOK+. Das Ergebnis ist ein immersives Erlebnis, dessen Wirkung sich auch aus der – architektonisch anspruchsvollen – Reduktion heraus entfaltet.
Interview mit BOK+
Red Dot: Worin lag die größte Herausforderung bei diesem Projekt?
BOK+: Wir mussten eine Reihe von architektonischen und logistischen Herausforderungen meistern. So wird etwa die mittelalterliche Handschrift – ein nationales Kulturgut – in einer äußerst schlicht gestalteten Vitrine präsentiert. Im wahrsten Sinne des Wortes unsichtbar bleiben die Anforderungen an Klimatisierung und Sicherheitstechnik. Im Havariefall fährt die gesamte Vitrine mit einem Aufzug in einen geschützten „Klimatresor“ im Untergeschoss. Dieser Aufwand verfolgte ein klares inhaltliches Ziel: extra für dieses Buch einen neuen und besonderen Raum zu schaffen, in dem die Grenzen zwischen Weltlichem und Religiösem verschwimmen.
Entstanden ist ein sehr atmosphärischer Raum. Wie entwickelte sich diese Lösung?
Alte Bücher darf man als Besucher nicht anfassen, daher ist in einer Ausstellung normalerweise nur eine Doppelseite zu sehen. Das war uns zu wenig. Bücher sind zudem klein – eine Präsentation als „eines von vielen“ wäre der Bedeutung des Evangeliars nicht gerecht geworden. Daraus ist die Idee entstanden, diese mittelalterliche Handschrift im Raum erlebbar zu machen. Zitate und Verzierungen finden sich daher auf den Stahlwänden wieder. Die Raumproportionen und die Materialität des Raumes sind vom Einband des Evangeliars abgeleitet, Raum und Exponat verschmelzen.
Wie wurde dies technisch realisiert?
Nicht auf den ersten Blick sichtbar sind die Anforderungen an die Konstruktion, für die eine Zwischendecke des Museums entfernt wurde. Die nur 8 mm starken Stahltafeln hängen – ohne Unterkonstruktion – an einem neu errichteten Tragwerk in mehr als 8 Metern Höhe. Für die Schriftzüge wurden zentrale Bibelstellen und Verzierungen aus der Handschrift ausgewählt, die wir nachzeichneten, in Pfade umwandelten und mit dem Laser präzise in den Stahl schneiden ließen. Zuletzt mussten die einzelnen Teilwände, die etwa eine halbe Tonne wiegen, mit einem Kran durch das Fenster gehoben und vor Ort verschweißt werden.
Durch die multimedialen Möglichkeiten werden Ausstellungen oft überfrachtet. Wie gelingt es, hier das richtige Maß zu finden?
Unser Evangeliarraum ist sehr immersiv und spricht viele Sinne an. Dabei setzen wir bewusst auf unterschiedliche subtile Effekte, die zusammenwirken, ohne den Eindruck der Schlichtheit zu gefährden. Besonders wichtig ist, dass die durch diese Immersion geschaffene Stimmung zum Inhalt der Ausstellung passt. Das Projekt zeigt, wie man mit geringem (digitalen) Medieneinsatz alle Sinne ansprechen kann.