Über Motivation & Haltung
Als Chief Experience Design Officer verantwortet Sean Carney alles, was bei Philips mit dem Thema „Design“ zu tun hat. Burkhard Jacob, Managing Director Red Dot Institute, traf ihn in Eindhoven zum Gespräch. Im dritten von vier Teilen des Interviews erklärt Sean Carney Design Thinking und Co-Creation und den Einfluss dieser Methoden auf die Arbeitsweise von Philips.
Burkhard Jacob: Im Gespräch mit Philips-Designern gewinnt man den Eindruck, dass diese nicht nur an Produkten, sondern vielmehr an Lösungen arbeiten, die das Leben ein wenig besser machen ...
Sean Carney: Richtig. Wenn man mit Designabsolventen spricht, gibt es vielleicht einige, die einfach nur ein schönes Produkt gestalten wollen – aber die Mehrheit hofft wirklich, mit ihrer Arbeit etwas zu bewirken, das von Bedeutung ist und im Leben von Menschen etwas verändert. Das ist der Mehrwert von Gestaltung und die Frage, die wir uns als Designer stets stellen: Was können wir noch tun, um das menschliche Leben zu bereichern und um ein besseres Ergebnis zu erzielen?
Worin liegt der Unterschied zwischen Design Thinking und Ihrer Designphilosophie der Co-Creation?
Als ich bei Philips anfing, war das Thema „Design Thinking“ bereits etabliert: Es gab schon viele Bücher zum Thema. Was mir allerdings an der Entwicklung von Design Thinking missfiel, war, dass es viel zu akademisch und nach innen gerichtet war. Mir ging es darum, Design Thinking wieder zu öffnen und so einen Ansatz zu prägen, der nicht nur von den Philips-Design-Mitarbeitern genutzt und geschätzt werden würde.
Wie ist es Ihnen gelungen, diesen Ansatz zu demokratisieren?
Um noch einmal auf meine Anfangserfahrung bei Philips zurückzukommen: Eine meiner Beobachtungen zu dieser Zeit war, dass wir zu einer Art internem Beratungsunternehmen für Philips geworden waren. Sie sagten, was sie brauchten, und wir sorgten dafür, dass sie es bekamen. Als Abteilung müssen wir jedoch darüber hinauszielen. Als Designer in diesem Unternehmen habe ich eine Verantwortung, mich für den Nutzer einzusetzen, über das Gewöhnliche hinauszudenken, um die nächste Stufe zu erklimmen. Es ist ein fortwährender Prozess, das Selbstvertrauen unserer Designer zu stärken und ihnen zu zeigen, dass sie genauso einen Platz am Tisch verdienen wie Ingenieure, Marketingexperten und Buchhalter – und zudem die Praxis-Perspektive liefern und professionelle Führung demonstrieren müssen.
Philips Design kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Im Jahr 2019 haben Sie den Namen des Teams jedoch geändert – nun heißt es Philips Experience Design Team.
Die Namensänderung war eine sehr bewusste Entscheidung. Es ging darum, dass unser Name angemessen widerspiegelt, was wir heute sind und was wir heute leisten – und dies beschränkt sich schon lange nicht mehr nur auf die Produktgestaltung. Heute gestalten wir ganze Systeme und berücksichtigen auf ganzheitliche Weise die Nutzererfahrung, das Patientenerlebnis sowie den Einfluss auf das Ökosystem.
Die Wichtigkeit von Design droht manchmal hinter Technologien wie dem Internet of Things, Big Data, Augmented Reality und Virtual Reality zu verschwinden. Lassen diese technologischen Entwicklungen die Relevanz von Design in den Hintergrund treten?
Ich denke, dass es an uns Designern liegt, diese neuen Technologien mit offenen Armen anzunehmen und sie als kreative Werkzeuge zu nutzen. Ich glaube, Design erfährt gerade wieder neuen Aufwind. Als wir uns zunächst mehr in Richtung digitaler Lösungen bewegt haben, wurde die Rolle von Design meines Erachtens gar nicht wirklich verstanden. Dementsprechend haben wir diesen Bereich nicht besetzt. Vielleicht haben wir uns zu sehr darin eingerichtet, über Benutzeroberflächen, Graphic User Interfaces oder Mensch-Computer-Interaktion nachzudenken. Unsere Arbeit geht jetzt jedoch weit darüber hinaus. Wir haben damit angefangen, ganzheitlicher über Experience Design, also die Benutzererfahrung nachzudenken – und das wurde zu unserem Schwerpunkt, unserer Identität. Es ist nun an Philips Experience Design, hervorzutreten und die Diskussion über integrierte Lösungen, die sich in ein breiteres Ökosystem einfügen, zu führen. Allerdings möchte ich auch ausdrücklich betonen, dass traditionelles Designhandwerk genauso wichtig ist. Es ist nach wie vor unsere Aufgabe, ansprechende, gut gestaltete und verarbeitete Produkte und Schnittstellen zu kreieren. Es ist essenziell, dass wir unsere grundlegenden Fähigkeiten nicht vernachlässigen und in unseren Projekten auch Platz und Zeit dafür einräumen, beispielsweise eine Oberfläche zu verfeinern oder intensiv über die Farbe oder das Format einer Schrift auf der Benutzeroberfläche einer komplexen Software nachzudenken.
Wie wird sich Design bis zum Jahr 2030 verändern?
Wir beschäftigen uns mit Data-Enabled Design. Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto wertvoller werden sie auch für unsere Arbeit. Wenn Designer das kreative Potenzial von Daten entschlüsseln, um wirklich aussagekräftige Erkenntnisse zu generieren, können sie gezieltere Designentscheidungen treffen und dadurch das Benutzererlebnis in die gewünschte Richtung lenken, sodass es persönlicher, präziser und kontextbezogener wird. Wenn wir heute ein neues Produkt auf den Markt bringen, sollten Daten von Beginn an Teil des Gestaltungsprozesses sein. Ich glaube, dass Designer zunehmend an softwareunterstützter Hardware mit verbesserten Funktionen arbeiten werden. Hiervon werden wir in der Zukunft mehr sehen.
Und zu guter Letzt: Was bedeutet es für Sie und Ihr Team, in Designwettbewerben ausgezeichnet zu werden?
Wenn wir eine Designauszeichnung erhalten, ist das ein Moment des internen Stolzes im Team, ein Moment der Anerkennung durch unsere Kollegen oder ein Expertengremium, die uns attestieren, dass wir gute Arbeit geleistet haben. Auch die multidisziplinären Teams sind stolz darauf, denn es ist immer auch eine Anerkennung der Qualität ihrer Arbeit. Eine Auszeichnung ist eine externe Bestätigung dessen, was wir sind, was wir tun und was wir für die Zukunft anstreben. Letzten Endes kommt die ultimative Bestätigung aber natürlich von den Menschen, die unsere Lösungen kaufen oder nutzen, denn nur sie können beantworten, ob unser Design wirklich etwas im Leben der Menschen verändert. Auszeichnungen wie der Red Dot sind hochgeschätzt, da sie bestätigen, dass unsere Arbeit von Experten in diesem Bereich als qualitativ hochwertiges Design anerkannt wird. Und das erfüllt uns natürlich auch persönlich mit Stolz – die Teams sind hoch motiviert und die Auszeichnungen befeuern den internen Wettbewerb. Die Teams und Designer sind stolz auf die Anzahl ihrer Auszeichnungen – und das wiederum hilft dabei, junge und inspirierende neue Talente für uns zu gewinnen.
Ehrentitel „Red Dot: Design Team of the Year“ für notwendige und innovative Technologien
Philips setzt den eigenen Anspruch an die Multidisziplinarität im Design nicht nur vorbildlich um, sondern bietet als eines von wenigen Unternehmen weltweit auch Lösungen für die drängenden Fragen des 21. Jahrhunderts. Angesichts einer alternden Bevölkerung, der Zunahme chronischer Erkrankungen, drohender Pandemien und steigender Ausgaben für die Gesundheitsversorgung dürften die strategische Neuausrichtung und Neupositionierung von Philips als einem führenden Unternehmen der Gesundheitstechnologie Signalwirkung haben.
Das Philips Experience Design Team led by Sean Carney setzt diese Ideale und Ideen mithilfe innovativer Technologien um. Dabei wird immer vom späteren praktischen Einsatz des Produktes her gedacht. So entstehen Geräte, die in Anwendung und Bedienung intuitiv und einfach, gleichzeitig im Ergebnis wirkungs- und sinnvoll sind.
Diese Leistung bringt dem Designteam den Ehrentitel „Red Dot: Design Team of the Year 2022“ ein. Damit tritt Sean Carney mit seinem Team die Nachfolge von Studio F. A. Porsche an.