Höchste Auszeichnung in der Design-Branche geht nach Schweden
von Professor Dr. Peter Zec
Dreißig Jahre ist es her, seit ich die Ehre und das Vergnügen hatte, den italienisch-deutschen Designer Bruno Sacco kennenzulernen. Über vier Jahrzehnte hinweg hat er das Design der Mercedes-Benz-Modelle (mit-)geprägt und so Automobilgeschichte geschrieben. Doch er wird mir nicht nur in seiner Funktion als Designchef von Mercedes, sondern auch als große und großzügige Persönlichkeit in Erinnerung bleiben, denn er hat mich mehr als einmal überrascht – unter anderem hat er mir einmal attestiert, einen Dickschädel zu haben, aber dazu später mehr.
Bruno Sacco wurde 1933 in Udine geboren und studierte zunächst an der Polytechnischen Hochschule in Turin. Er unterbrach das Studium jedoch im Jahr 1956, um sich ganz seiner Leidenschaft, dem Automobildesign, zu widmen. Bei den „Carrozzerie“ Ghia und Pininfarina sammelte er erste Erfahrungen. Mit 25 Jahren (1958) ging er schließlich nach Stuttgart und begann dort seine lange und erfolgreiche Laufbahn zunächst als Designer, ab 1975 dann als Chefdesigner von Mercedes-Benz, die erst im Jahr 1999 mit seiner Verabschiedung in den Ruhestand endete.
Vom Tiefpunkt zum Höhepunkt einer Designerkarriere
Auch wenn Saccos Verdienste um die Entwicklung der Marke Mercedes-Benz heute unbestritten sind, gab es eine Zeit, in der ihm heftiger Gegenwind entgegenschlug: 1991 stellte Mercedes seine neue S-Klasse vor – 5,11 Meter lang und 2,16 Meter breit. Diese Dimensionen hatten zur Folge, dass die S-Klasse zu breit für Normgaragen und Autozüge war. Häme und Verrisse in der deutschen Medienlandschaft ließen nicht lange auf sich warten und Bruno Sacco und das Mercedes-Benz-Designteam sahen sich einer öffentlichen Stimmung gegenüber, deren heutiges Äquivalent wohl ein ausgewachsener Shitstorm wäre. Mein Blick auf das Design hingegen war ein gänzlich anderer, denn ich fand die Begründung für die neue Dimensionierung durchaus plausibel und vor allem strategisch gut durchdacht. Man wollte schlicht und einfach die Schwäche der damaligen Luxuskarossen von Cadillac und Rolls-Royce ausnutzen und mit einem neu dimensionierten Auto die Spitzenposition im Luxussegment übernehmen. Die herkömmliche S-Klasse war viel zu klein und gewöhnlich, als dass sie dies hätte leisten können. Und ganz ehrlich – welcher S-Klasse-Fahrer macht sich schon Gedanken um eine Normgarage? International wurde dieses Modell jedenfalls zu einem großen Erfolg. Der Plan ging auf. Mehr kann Design nicht leisten. Ich merkte mir den Namen Bruno Sacco.
Drei Jahre später, 1994, verliehen wir Bruno Sacco und seinem Team folgerichtig den Ehrentitel „Design Team des Jahres“, um ihn für diese Leistung sowie die vielen anderen ikonischen Fahrzeuge, die bis dahin unter Saccos Federführung entstanden waren und die bis heute zu den absoluten Klassikern der Automobildesigngeschichte gehören, zu würdigen. Bei einem ersten Telefonat, indem ich Signore Sacco über die Auszeichnung informierte, zeigte er sich hocherfreut und versprach, mit seinem gesamten Team zur Preisverleihung im Essener Opernhaus, dem Aalto Theater, anzureisen und auf die Bühne zu kommen. Er hielt Wort. Fünf Busse brauchte es letztlich, um die 175 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Essen zu befördern, wo sie buchstäblich im Scheinwerferlicht standen und sich von der Designszene auf der Bühne feiern ließen. Bei der Erinnerung an diese Szene bekomme ich heute noch Gänsehaut.
Diese Auszeichnung zum Design Team des Jahres fiel auch in eine Zeit, als dem Automobildesign noch der Nimbus des puren „Stylings“ anhaftete, der reinen „Verschönerung“ dessen, was die Ingenieure konstruiert hätten. Autodesigner waren im Gegensatz etwa zu Möbeldesignern noch keine Persönlichkeiten, deren Namen man außerhalb von eingeweihten Kreisen kannte. Durch die Ehrung bekam Bruno Sacco eine neue Sichtbarkeit als die charismatische Designerpersönlichkeit, die er war – in der Wirtschafts- und Designwelt ebenso wie unternehmensintern. Unseren Preisverleihungen blieb er lange treu und wurde nach seinem Ausscheiden bei Mercedes-Benz auch Mitglied der Red Dot Jury. Vorher jedoch wäre es beinahe zum Bruch zwischen ihm und mir gekommen.
Das Treffen der Dickköpfe
Hintergrund war, dass wir den deutschen Fotografen Hans Hansen damals für jedes unserer Jahrbuch-Cover ein Foto von einem der ausgezeichneten Produkte anfertigen ließen. Er hatte sowohl bei der Art des Fotos als auch bei der Produktauswahl völlig freie Hand. Nun entschied er sich 1995 ausgerechnet für einen Eiskratzer von Mercedes-Benz als Titelmotiv, der eine Auszeichnung für höchste Designqualität bekommen hatte. Das Foto war großartig: Hansen hatte den Eiskratzer so stark entfremdet, dass er kaum noch als solcher zu erkennen war, sondern stattdessen wie ein futuristisches grünes Objekt anmutete. Als ich der Höflichkeit halber das eigentlich nicht notwendige Okay von Bruno Sacco einholen wollte, war dieser, im Gegensatz zu mir, alles andere als begeistert: „Herr Zec, wir produzieren Autos und keine Eiskratzer. Wie sind Sie überhaupt an das Ding gekommen?“ Es stellte sich heraus, dass es die Marketingabteilung des Unternehmens war, die das Produkt eingereicht hatte, und Sacco nichts von dieser Auszeichnung wissen wollte. Er verweigerte schlicht seine Zustimmung zur Veröffentlichung, was mich in ein Dilemma stürzte, gab es doch nur dieses eine Titelbild. Ich entschied mich zur Veröffentlichung des Fotos, ohne weitere Angaben dazu, was genau darauf zu sehen war, ließ Buch und Plakate produzieren und machte mich auf das Schlimmste gefasst, sollte Bruno Sacco es schließlich entdecken.
Und natürlich entging es ihm nicht, immerhin besuchte er auch diese Preisverleihung. Als wir uns an jenem Abend begegneten, sagte er mit seinem typisch italienischen Akzent zu mir: „Mein lieber Herr Zec, Sie haben wahrlich einen noch dickeren Kopf als ich.“ Ich entgegnete darauf: „Aber niemand wird den Eiskratzer erkennen oder ihn mit Ihnen in Verbindung bringen. Ich konnte nicht mehr zurück.“ Darauf Sacco: „Nein, ist schon gut. Könnten Sie mir zehn Plakate und das Jahrbuch zukommen lassen?“
Abschied von einer großen Designerpersönlichkeit
Tatsächlich kamen wir uns durch diese Geschichte menschlich letztlich sogar näher und arbeiteten später in seiner Zeit als Jurymitglied noch gut zusammen. 2004 kam er ein letztes Mal auf die Bühne einer Red Dot Gala, als er die Laudatio auf das Pininfarina Design Team hielt, 2006 war er noch einmal in der Red Dot Jury, bevor er sich endgültig in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedete.
Sacco blieb zeitlebens seiner Arbeitsphilosophie treu, die ein Maximum an Innovation bei gleichzeitigem Respekt der traditionellen Werte der Marke fordert: „Mercedes kann diesem Trend [der Internationalisierung im Automobildesign] nur begegnen, wenn man sich bei jedem Schritt nach vorne der Tradition bewusst ist“, so Sacco im Gespräch mit Reinhard Kiehl für das Jahrbuch 1994 anlässlich der Ehrung als Design Team des Jahres.
Bruno Sacco sah sich selbst nie als Designstar. Er war sich bewusst, dass das Design eines Fahrzeugs immer auf eine Teamleistung zurückgeht: „Wir pflegen im Umgang miteinander, in der frühen Entwicklungsphase, bis zu einem gewissen Grad zu sagen: Das ist das Modell von dem Herrn X, und das ist das Modell von dem Herrn Y. Dann wird es aber immer mehr Werksentwurf. Je mehr sich das dann zusammenzieht, je mehr es dem Ende zugeht, desto weniger erkennt man dann den einzelnen Gestalter. […]“ Ebendarum war es ihm auch so wichtig, bei der Preisverleihung im Essener Aalto Theater sein gesamtes Team mit auf die Bühne zu nehmen. Das Recht des letzten Worts behielt er sich allerdings vor: „Wenn es nach einigen meiner Mitarbeiter gegangen wäre, dann wäre der SL ganz anders geworden, und auch die S-Klasse sähe ganz anders aus. Die Fahrzeuge sind so geworden, weil ich es dann am Ende so wollte“, so Sacco gegenüber Kiehl.
Am 19. September 2024 ist Bruno Sacco nun im Alter von 90 Jahren in Sindelfingen verstorben, 30 Jahre nach unserer ersten Begegnung. Ich hoffe, er hatte gute und erfüllte letzte Jahre. Meine Anteilnahme und die unserer Red-Dot-Gemeinschaft gilt seiner Familie. Wir werden das Andenken an seine Verdienste um das Automobildesign wahren.