Messenger-Chatbots zielen darauf ab, wiederkehrende Kundenanfragen automatisch und präzise zu beantworten. Sie sind damit zu einem relevanten Kommunikationstool für Unternehmen geworden. Das digitale Brand-Studio „Interactive Pioneers“ hat diese Technologie mit einem Videochatbot, der auf der Agentur-Webseite eingebunden ist und sich an Kunden wie Bewerber richtet, auf ein neues Level gehoben. Er ergänzt den textbasierten Chatbot um eine emotionale und visuelle Komponente. So wählt die eingesetzte künstliche Intelligenz voraufgezeichnete Videos aus und beantwortet über 200 Fragen zum Unternehmen. Interactive Pioneers wurde für diese Arbeit 2019 mit einem Red Dot: Best of the Best im Red Dot Award: Brands & Communication Design ausgezeichnet.
Red Dot sprach mit Carlo Matic, Inhaber und Gründer des Studios, über Chancen sowie Herausforderungen von grundlegenden Veränderungen, die durch die Digitalisierung entstehen.
„Mithalten ist nicht immer bequem, aber es ist keine Option mehr, sich nicht weiterzuentwickeln.“
Red Dot: Wie ist die Idee für den IP20 Video Chatbot entstanden?
Carlo Matic: Zu unserem 20-jährigen Jubiläum wollten wir uns mit einer neuen Webseite beschenken. Dafür sind wir nutzerzentriert vorgegangen. Wir haben zunächst die 200 Antworten gesammelt, die wir geben müssen. Ein klassisches Menü war aufgrund der Menge keine Option. So haben wir schnell an Chatbot-Technologie gedacht. Die übliche User Experience hat uns aber nicht überzeugt, weil wir den Besuchern unserer Webseite authentisch begegnen wollten. Durch die Erweiterung einer Video-Komponente ist es uns gelungen, die Usability maßgeblich zu steigern. Mit unserem Chatbot zu sprechen, fühlt sich also fast wie eine echte Unterhaltung mit mir an.
Welche Änderungen haben Sie im Laufe der Zeit vorgenommen?
Wir arbeiten kontinuierlich an dem Chatbot – auf der IFA stand er zum Beispiel als physische Installation. In diesem Jahr haben wir ihn als Produkt gelauncht und vermarkten ihn für andere Kunden. Mittlerweile können wir aus einer 15-minütigen Aufnahme automatisch Antwortvideos mit Deepfake generieren. Bei uns selber ist diese Lösung nicht im Einsatz, aber bei etwa der Hälfte der Kunden-Projekte. Diese Herangehensweise eignet sich beispielsweise für Support-Anfragen. Zudem erweitern wir Schritt für Schritt die Kanäle, auf denen der Chatbot zum Einsatz kommt – zum Beispiel in Messengern, auf Smartdisplays etc.
Stichwort „Veränderung“ – warum ist kontinuierliche Weiterentwicklung wichtig?
Die Welt agiert immer schneller – insbesondere durch die Globalisierung und die Digitalisierung. Mithalten ist nicht immer bequem, aber lieber sich selbst disruptieren, als andere das machen zu lassen. Es ist keine Option mehr, sich nicht weiterzuentwickeln.
Was ist die größte Herausforderung in Veränderungsprozessen?
Die größte Herausforderung sind vorhandene Strukturen, innere Widerstände oder eine starke Innensicht. Um diese Blockaden aufzubrechen, zeigen wir unseren Kunden anhand von konkreten Lösungen, dass eine Veränderung Mehrwert schaffen kann. Häufig helfen hier Mock-Ups, Prototypen oder abstrakte Spiele, die es erleichtern, sich in die Zukunft hineinzuversetzen. Wir nennen dieses Vorgehen „Zeitmaschine“, denn so können wir mögliche Lösungen mit der echten Zielgruppe erproben bevor wir mit der Entwicklung starten.
„Wir können Veränderungen nicht aufhalten. Aber wir können sie aktiv mitgestalten und für uns nutzen.“
„Change as a Chance“ – dafür steht der Red Dot Award: Brands & Communication Design 2021. Was verbinden Sie mit diesem Leitgedanken?
Change is a Chance – always! Es ist komisch, dass wir das 2021 überhaupt noch betonen müssen, aber die aktuelle Zeit passt besser denn je zu diesem Credo. Wir wenden stets zu viel Energie dafür auf, um Veränderungen zu verhindern. Würden wir nur einen Bruchteil dieser Energie einsetzen, um sie positiv für uns umzulenken, wären wir alle schneller erfolgreich. Ich bin überzeugt davon, dass wir Veränderungen nicht aufhalten können. Aber wir können sie aktiv mitgestalten und für uns nutzen.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung in diesem Zusammenhang?
Die Digitalisierung ist ein Katalysator und Beschleuniger. Was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Je früher man das akzeptiert, desto besser. Das bedeutet andersherum aber auch, dass es Millionen von weiteren Schnittstellen und Services geben wird, die man für seine Ideen nutzen kann. So können kleine Start-ups beispielsweise plötzlich auf eine unheimlich teure KI von Google oder auf eine OpenSource-Alternative kostenlos zugreifen. Durch die Kombination verfügbarer Innovationen wird es schneller und einfacher, etwas wirklich großes Neues zu erschaffen – ein großartiges Spielfeld.
Inwieweit können digitale Lösungen eine Chance in Krisenzeiten darstellen?
Neben dem Chatbot erkennen wir das an einem anderen Projekt, das auch mit dem Red Dot ausgezeichnet wurde: Beim Aachener Domrundflug hatten wir die Aufgabe, Lust auf einen Besuch dieses komplexen romanischen Bauwerkes zu machen, ihn aber nicht zu ersetzen. Mithilfe von 3D-Scan-Technologie haben wir so einen digitalen Zwilling erstellt. Zu Corona-Zeiten können wir dieses beeindruckende Weltkulturerbe jedoch meist nur digital erleben, sodass der Rundflug zu einem temporären Ersatz geworden ist.
Können solche digitalen Lösungen Ersatz für das persönliche Treffen sein?
Digitale Lösungen sind kein Ersatz für echte Begegnungen. Sie sind eine tolle Ergänzung. Wir müssen nicht mehr für jedes Projekt um die halbe Welt fliegen. Teilweise bieten Online-Inhalte sogar ganz andere Blickwinkel, neue Perspektiven und weiterführende Informationen. Sie konservieren Wissen, erweitern didaktische Möglichkeiten und erlauben flexibles Lernen. Beim Domrundflug kann man beispielsweise Dinge sehen, die normale Besucher vor Ort gar nicht erleben können. Das kann die beeindruckende Erfahrung, im Aachener Dom selber zu stehen, aber niemals ersetzen.
Nochmal zurück zum Thema „Weiterentwicklung“. Was haben die Red Dot-Auszeichnungen für Sie verändert?
Vor allem sind wir unheimlich stolz auf die Auszeichnungen. Sie haben uns eine fantastische Bühne geboten, um mehr Sichtbarkeit zu erlangen. Das macht unsere Kunden stolz und potentielle Kunden neugierig. Das Red Dot-Qualitätssiegel lockt aber auch Talente an. Der „War for Talents“ ist überall und wir leben davon, dass die Besten uns kennen und sich bei uns bewerben. Wir haben am Zulauf der Bewerbungen deutlich gemerkt, dass die Auszeichnungen wirken. Nicht zuletzt ist so auch Zeljko Pezely, damaliger Kreativdirektor von Heye in München, auf uns aufmerksam geworden und inzwischen als „Geschäftsführer Kreation“ mein Partner.
Der Red Dot: Best of the Best war 2019 auch der Auslöser einer besonderen Weihnachtsfeier, denn wir sind mit der gesamten Firma zur Preisverleihung nach Berlin gereist und haben dort ein ganzes Wochenende gefeiert.