Marie-Luise Charlotte Weier
„Schneegestöber“, so die Übersetzung des finnischen Wortes „Pyry“, das Marie-Luise Charlotte Weier als Titel für ihre bemerkenswerte Arbeit wählte. Tatsächlich muss man sich beim Betrachten ihrer eindrucksvollen Fotografien warm anziehen: Gefrorene Buchseiten lassen die Schönheit des nördlichen Polarkreises durch eine dünne Eisschicht wirken und symbolisieren zugleich ihre Zerbrechlichkeit. Um diese Schönheit zu erhalten, ist Anstrengung erforderlich – für das Buch reicht es aus, eine permanente Temperatur von 0 Grad Celsius zu gewährleisten. Für den Schutz des ewigen Eises sind größere Maßnahmen vonnöten.
So begeistert Pyry in mehrfacher Hinsicht: Inhaltlich lassen sich die ästhetischen Fotografien sowie ihre Botschaft kaum intensiver inszenieren und haptisch erleben. Formal fasziniert die besondere Ästhetik der Risographie sowie die technische Umsetzung der eisüberzogenen Seiten.
Marie-Luise Charlotte Weier, die nach ihrem dualen Mediendesignstudium an der DHBW Ravensburg gerade ihren Master in Contextual Design an der Design Academy Eindhoven absolviert, zeigt mit ihrer Arbeit eindrucksvoll, dass die Möglichkeiten der analogen Gestaltung längst nicht ausgereizt sind. Die Kreative selbst nahm neben der Grenzerfahrung in Eiseskälte noch mehr von ihrer Expedition mit: „Die Leichtigkeit, Balance und Effizienz des finnischen Designs und wunderbare Freundschaften.“
Interview mit Marie-Luise Charlotte Weier
Red Dot: Was war die Initialzündung für Ihre Arbeit?
Marie-Luise Charlotte Weier: Während meines Auslandssemesters an der University of Lapland war ich für fünf Monate am Polarkreis. Dort habe ich im alltäglichen Leben – und besonders bei einer Tour gen Norden – die extreme Kälte von bis zu minus 38 Grad erlebt. Dieses existenzielle Gefühl hat in diesem Moment den Überlebensmodus aktiviert und mich nachhaltig geprägt. Mein Fuß ist mehrfach eingefroren und schmerzhaft wieder aufgetaut.
Wählten Sie für die Präsentation in Buchform bewusst die Risographie als eine besonders nachhaltige Drucktechnik oder wegen ihrer Ästhetik?
Der Umweltaspekt sollte bei jedem Druck und jeder Präsentation eine Rolle spielen. Für das Eisbuch wurden die losen Farbpartikel des Riso zudem zu einer Analogie für die Vergänglichkeit von Schneeflocken.
Durch die Farbseparation kam ich auf die Idee, die Vorderseite einfarbig in Steel Blue zu drucken und die Rückseite zweifarbig in Marine Red, Aqua oder Sunflower. So gelang die Übersetzung des harten, extremen Moments des Frierens – erst in der Retrospektive, beim Umblättern der Seite, ergibt sich das ganze Bild.
Der kniffligste Part war sicherlich der verblüffende Überzug mit Eis – wie wurde dies technisch realisiert?
Es war ein langer Prozess aus Experimenten, Geduld und Wiederholungen. Am Polarkreis hatte ich an einem Kurs für die Gestaltung und das Bauen von Eisskulpturen teilgenommen, das hat mir zumindest die Türen zum Werkstoff Eis geöffnet.
Die Eisseiten, also die eingefrorenen Fotografien, waren dabei aber der leichtere Part. Am schwierigsten war die Bindung: Das Buch muss stabil sein, die Seiten dürfen nicht brechen und nicht zusammenfrieren.
Die Aussage ist offensichtlich: Es gilt, die Arktis und das Eis zu schützen. Denken Sie, Design könnte generell die Kraft zum ökologischen Umdenken entwickeln?
Ich denke, wir müssen uns mit allen Mitteln für ein ökologisches Umdenken stark machen und den kurzfristigen, persönlichen Komfort aktiv verlernen – für eine langfristige, gemeinsame Zukunft.
Sind Sie nicht ein wenig traurig, dass das Buch wahrscheinlich nicht für die Ewigkeit bestehen bleiben wird?
Da habe ich ein lachendes und ein weinendes Auge: Das Eisbuch hat mich an Grenzen gebracht und ich habe im Prozess sehr viel gelernt, auch über mich selbst.
Aber um ganz ehrlich zu sein: Einen Anspruch auf Ewigkeit wünsche ich weder meinen eigenen noch anderen, menschengemachten Artefakten. Da sind wir wieder beim Klimawandel: Ich denke, wir haben uns genug verewigt.