Jury

Martin Beeh

Martin Beeh absolvierte ein Studium in Industriedesign an der Fachhochschule Darmstadt und an der ENSCILes Ateliers, Paris, sowie ein Aufbaustudium der Betriebswirtschaft. 1995 wurde er Designkoordinator bei Décathlon in Lille, Frankreich, 1997 Senior Designer im Electrolux Industrial Design Center Nürnberg und Stockholm sowie 2001 Design Manager im Electrolux Industrial Design Center Pordenone, Italien. Er ist Gewinner diverser Designpreise und gründete und leitete den renommierten Designwettbewerb für Studierende, das „Electrolux Design Lab“. Im Jahr 2006 wurde er General Manager der deutschen Niederlassung der Materialbibliothek „Material ConneXion“ in Köln. Drei Jahre später gründete Martin Beeh das Designbüro beeh_innovation. Martin Beeh hatte Lehraufträge an der Folkwang Universität der Künste in Essen, an der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd und an der Hochschule Hamm-Lippstadt und war von 2012 bis 2015 Professor für Designmanagement an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Lemgo. Darüber hinaus entwickelte er das Konferenzformat „materials.cologne“ als Plattform für den Dialog zwischen Material, Design und Innovation.

Martin Beeh

Red Dot im Interview mit Martin Beeh

Sie beschäftigen sich intensiv mit Materialien im Designbereich. Gibt es hier Entwicklungen, die Sie besonders faszinieren?
Der Einsatz von rezyklierten Materialien scheint momentan, wenn man das Produkt-Marketing vieler Unternehmen untersucht, der letzte Schrei zu sein. Dies mag im Sinne des CO2-Fußabdrucks und der Ressourceneffizienz eine gute Sache sein, macht das so neu geschaffene Produkt aber noch nicht kreislauffähig.

Worin liegt hierbei das Problem?
Diese Beimischungen von Materialien machen oft die sortenreine Trennung und Wiederverwertung unmöglich. Das Wegwerfen wird also lediglich teilweise verzögert. Sortenreine, gut industriell oder vom Verbraucher trennbare Materialien sollten im Mittelpunkt der Werkstoff-, Produktions- und Produktentwicklung stehen.
Es fasziniert mich als Industriedesigner, welche neuen Möglichkeiten sich durch den komplett zirkulären Produktentwicklungsprozess bieten. Neue Ästhetik, neue Nutzung, neue Beständigkeit der Produkte und die effektive Wiedereinführung in den Werkstoffkreislauf: So wird der Neustart gelingen. Ich höre fast täglich von neuen Produkten, die im Sinne des Kreislaufgedankens entwickelt und dann auch in den Markt gebracht werden. Rein technisch und gestalterisch ist schon vieles möglich. Meiner Meinung nach wird der Schlüssel beim Handel und bei der Akzeptanz durch die Benutzerinnen und Benutzer liegen. Die Hersteller sollten die produzierende Industrie proaktiv fördern und so Kreislauffähigkeit als das moderne „New Normal“ bewerben.

Kunststoff wird dabei gerne verteufelt. Zu Unrecht?
Mit Sicherheit. Durch meine Tätigkeit als Co-Autor des Buches „Kunststoffe im Kreislauf“ (von Peter Orth, Manfred Rink und Jürgen Bruder, erschienen bei Springer Vieweg) habe ich viele neue Aspekte der Kunststoffe entdeckt. Das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft: Viele mutige, schlaue Menschen sind hier schon recht weit fortgeschritten. Die Kreislauffähigkeit der Kunststoffe und deren Verarbeitung, Hochleistungs-Naturfasern, Leichtbaumaterialien und Kompositmaterialien, jeweils auch kreislauffähig gemacht, das sind für mich aktuell die spannendsten Themen im Werkstoffbereich.

Welche Rolle spielt diesbezüglich die Haptik in unserem „Bildschirmzeitalter“?
Wir fassen auch im Bildschirmzeitalter jede Menge IT-Geräte an, die uns unbewusst von ihrer Qualität berichten. Der Kult um iPhones und andere hochwertige Smartphones oder Spielkonsolen beweist uns das. Auch Augmented und Virtual Reality schaffen für uns eine ganz neue Vorstellung von digitaler Haptik.

Material und Nachhaltigkeit sind eng miteinander verbunden. Wie können Produktdesigner einen Beitrag dazu leisten, unsere Welt ökologischer zu gestalten?
Produktdesigner müssen ganz früh im Prozess dabei sein, ihr Wissen und ihre Ganzheitlichkeit einbringen. Sie müssen sich Kenntnisse aneignen, über die Werkstoffe, ihre Verarbeitung und Qualitäten der Nachhaltigkeit sowie zur Kreislauffähigkeit. Nutzerfreundlichkeit bewirkt langlebiges Design und einen respektvollen Umgang mit den Produkten. Design for Repair sollte selbstverständlich sein und schafft neue Geschäftsfelder im Rahmen von Product-Service-Systemen. Und: Vielleicht mal weniger Produkte gestalten, diese aber besser. Das zusammen mit den Auftraggebern und dem Handel.

Sie haben nicht nur Industriedesign, sondern auch Betriebswirtschaft studiert. Inwiefern kann ökonomisches Denken die Kreativität beflügeln?
Die Schnittmenge zwischen Industriedesign und der Betriebswirtschaft ist das Designmanagement. Das habe ich zum Glück in großen internationalen Unternehmen lernen und praktizieren können. Als Botschafter zwischen diesen beiden Welten tätig zu sein, schafft Raum für Kreativität, aber auch für die Notwendigkeit der Wirtschaftlichkeit. Kreativität in wirtschaftliche Prozesse einzubinden, ist leider immer noch die Ausnahme. Lineares, repetitives Denken und das Optimieren von Bestehendem ist bedauerlicherweise noch die vorherrschende Praxis in der Industrie. So entsteht allerdings keine Sprung-Innovation. Deswegen: Mehr gutes Design und Designmanagement wagen! Es gibt noch viel Potenzial – gerade auch im Sinne der Nachhaltigkeit – zur Schaffung von wirklich guten Produkten und Dienstleistungen, für glaubhafte Marken.

Gibt es Produktsparten, die zu Ihrer persönlichen Passion zählen?
Haushaltsgeräte, Alltagsküchengegenstände, Fahrräder (mechanisch), Züge, technische Textilien, Bergsportgeräte und technische Sportschuhe – klingt wie meine professionelle Vita plus Hobbys.

Innovatives Design bedeutet für Sie …
… immer einen Schritt weiter zu sein. Das Undenkbare zu schaffen, das niemand erwartet hat.